Bildung für jedes! Kind bewegt mich, ist Leidenschaft und Triebkraft meines Handelns.
Ich bin in Wien Währing aufgewachsen. Mein älterer Bruder Michael und ich, beide in den 60er Jahren geboren, sind Kinder von Eltern, die selber auf Grund ihrer persönlichen Geschichte und der wirtschaftlichen Bedingungen nicht studieren durften. Keineswegs wohlhabend, würde ich unser Umfeld als wohlbehütet beschreiben. Ein Luxus, keine Selbstverständlichkeit, wie ich heute weiß.
Unsere Mutter, katholisch, hatte unseren Vater, jüdisch, Anfang der 50er Jahre geheiratet. Papa war nach gelungener Flucht 1939 zuerst mit seiner Familie 8 Jahre in Shanghai gewesen, dann in Israel, wo er auch den Militärdienst absolvierte. Dann kam er zurück nach Wien, wo wirtschaftlich begründet jede weitere Ausbildung zuerst nicht möglich war.
Ich erzähle die Konfession dazu, weil ich im Rückblick glaube, dass unsere Eltern zwar nicht religiös waren, aber gläubig. Daraus leiteten, meinem Verständnis nach, beide etwas gemeinsames ab. Ein tiefes Gefühl für Unrecht, die Überzeugung, gegen dieses zu kämpfen und nicht wegzusehen, wenn ein solches empfunden wird. Ein Gefühl, dass sich stark auf meinen Bruder und mich übertrug.
Unseren Eltern war es auch besonders wichtig, uns „gute Bildung“ zu bieten. Trotz eingeschränkter finanzieller Möglichkeiten unseren Wissensdrang, unsere Interessen als Ausbildung, auch bis hin zu jeweils absolvierten Studien, zu ermöglichen. Am Anfang völlig von ihnen finanziert, dann mehr auch aus eigener Kraft. (Bei mir vor allem später mit Taxifahren, eine großartige Kombination aus der Stadt die ich liebe mit den Menschen denen man dabei in den unterschiedlichsten Situationen begegnet.)
Ich hatte Freude am Lernen und Wissen, Spaß mit den Mitschüler_innen und den Lehrer_innen. Jemand der sich relativ leicht tat. Neugierig auf allen Gebieten.
Dies machte meine Entscheidung „was studieren“ nicht leicht. Ich begann mit Medizin, helfen wollen war wohl das Thema. Zugleich begann ich auch bereits damals meine Ausbildung zum Dirigenten. Musik fand schon zu Hause, viel selbst musiziert, statt und begleitet bis heute mein Leben. Medizin wurde nach knapp 2 Jahren ad acta gelegt und ich begann eine meiner anderen Alternativen, die ich von Anfang an überlegt hatte, Betriebswirtschaftslehre, zu studieren. Dieses Studium schloss ich nach zahlreichen beruflichen und anderen Unterbrechungen (vor allem Chorreisen als Dirigent und als Sänger) mit dem Magister ab.
Als Kind schon hatte ich überlegt, gerne Lehrer werden zu wollen. Menschen begleiten zu dürfen, ihnen Optimismus zu geben, ihnen die eigenen Erfolge und Möglichkeiten vor Augen zu führen, hatte mich fasziniert.
Es bedurfte offenbar den langen „Ausflug“ in die Welt der Wirtschaft, der Konkurrenz, mir diese Werte, dieses Wollen, wieder in Erinnerung zu rufen. Ich begann also bereits parallel, Lehramt für die Pflichtschule zu studieren. Musik und Mathematik auf der damaligen Pädak Wien (dies wird sicher noch den einen oder anderen extra Blogbeitrag wert sein). Diese Ausbildung schloss ich nach den vorgesehenen 3 Jahren ebenfalls ab.
Wir sind beim vielleicht einschneidendsten Erlebnis für meine Grundhaltung bei Bildung angekommen und zugleich beim Ende dieses, meines ersten „wirklichen“ Blogbeitrages.
Während der Ausbildung hatte ich mein Pflichtpraktikum in einer Hauptschule (jetzt Neue Mittelschule) im 21. Bezirk. Ein Bursche in einer der dritten Klasse hatte hohes Fieber. Meine (übrigens großartige) Betreuungslehrerin ersuchte mich, seine Mutter anzurufen und machte mich zugleich darauf aufmerksam, das Telefonat könnte unangenehm werden.
Am Telefon schimpfte sie mich zur Begrüßung, warum jemand aus der Schule stört. Ich erzählte ihr kurz, wie es dem Sohn ging, dass er Fieber über 40 Grad hätte und fragte sie, wann sie ihn holen kommen würde. Das war 1995 und dennoch weiß ich noch wie heute, es war kurz vor 9 Uhr, eigentlich hätte sie ihn ja wohl nicht einmal in die Schule schicken sollen.
Sie bedrohte mich. Sie würde ihn ganz sicher nicht abholen kommen, und wenn wir ihren Sohn jetzt selber nach Hause brächten (mein Vorschlag), dann würde sie uns anzeigen. Sie hätte noch bis 13 Uhr Kunden, die Schule dauert bis 13.40, vorher würde sie ihn nicht betreuen. Punkt.
Der Blick auf den leise weinenden Buben neben mir, schmächtig, hilflos und mit dabei so großen, fragenden Augen hat etwas mit mir getan.
Kinder haben Rechte. Eines davon ist das Recht auf Bildung. Ich wiederhole, es ist das Recht des Kindes, das heißt für mich auch, dass der Staat, verantwortlich für institutionalisierte Bildung, subsidiär Pflicht hat, Kindern mit schlechteren Ausgangsbedingungen besonders beizustehen. Ich leite dies im übrigen auch aus dem Gleichheitsgrundsatz ab, wenn er eben auch besagt, dass Ungleiches ungleich zu behandeln ist.
Vorher schon hatte ich das Gefühl, es ging also vor allem um Kinder ohne Lobby, um jene, deren Eltern es nicht besser konnten, vielleicht auch nicht besser wollten.
Dieses Gefühl wurde schlagartig zur Gewissheit, wurde zur Überzeugung. Ist es bis heute. Jedes Kind, das von unserer Schule ohne Perspektive gelassen wird oder das anderen gleich gemacht werden soll, egal ob reich oder arm, woher auch immer, mit welchen vielen Talenten auch immer ausgestattet, ist eines zuviel. Und schließlich – Kinder zu beschämen ist ein Verbrechen!
Als Vater, der drei großartige Kinder ins Leben begleiten durfte, musste ich leider feststellen, dass zwei von ihnen am derzeitigen Schulsystem gescheitert sind. Nicht weil sie zu dumm waren, sondern weil sie zu viele Fragen gestellt, sich nicht wie erwartet verhalten, also unbequem waren.
Das war nicht allein meine Beurteilung sondern wurde mir „durch die Blume“ an einigen Elternabenden mitgeteilt.
Sie haben mittlerweile – nach einigen Umwegen – auch ihren Weg gefunden.
Ich finde auch, um jeden jungen Menschen, den wir während der Schule, während der Ausbildung verlieren ist es furchtbar schade.
Jeder hat Talente, die wir nicht in gleichmachende Formen pressen dürfen.
Vieles geht mir grad durch den Kopf, vlt soviel davon…
– Respekt, dass sie, ihr alle wohl gemeinsam, einen Weg gefunden haben
– ja, für mich furchtbar, was da manchmal passiert. Teils systemisch und teils in der Haltung, dem Bewusstsein der Beteiligten
– schau dir bitte gerne auch dazu unsere Homepage bei jedeskind.org an. Deine Gedanken zu dem für mich furchtbaren „in gemeinsame Formen pressen“ haben wir dort versucht zu visualisieren
Alles, alles Gute weiterhin!